Out of Order - Kolumne

Wahlkampf ist hässlich

Out of Order - Kolumne

Zunächst war der Wahlkampf 2013 inhaltsleer, dann kamen die ersten dürftigen, inhaltlichen Diskussionen auf – und wurden dann auch schon wieder von Zuschreibungen unter der Gürtellinie und Affären überschattet. Wenn ein Präsidentschaftskandidat in den USA auf seiner Wahlkampftour platte Phrasen à la „Mit mir als Präsident werdet ihr endlich wieder mehr Geld haben – und es wird haufenweise neue Jobs geben“ drescht, woraufhin alle jubeln und applaudieren, ohne überhaupt wissen zu wollen, wo das Geld und die Jobs herkommen könnten, dann erscheint mir das immer irgendwie stumpf. Ich denke dann: Wie gut, dass man sich hier nicht so einfach einlullen lässt. Aber ist das wirklich so? Mittlerweile beschleicht mich der Verdacht, dass es hier ebenso oberflächlich abläuft, nur auf andere Art und Weise.

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Gerade als die heiße Wahlkampfphase begonnen hatte, kam Edward Snowden daher und deckte die wahrscheinlich größte Spionage-Affäre aller Zeiten auf. Wir sprechen hier einen Spionageapparat, von dem nur wenige wussten, der keine Ländergrenzen kennt, nicht zwischen Freund und Feind unterscheidet und auch vor Botschaften und Regierungsinstitutionen keinen Halt macht. Er kennt keine Gesetze, bis auf die eigenen. Wenn George Orwell das wüsste… Eigentlich wäre das Thema doch Spitze für den Wahlkampf gewesen. Das Problem ist nur, dass ja alle Parteien irgendwie mit drin stecken. Jegliche Argumentation wird sogleich im Keim erstickt: „Ihr habt doch selber mitgemacht!“. Die Medien hielten das Thema zurecht hoch. Doch weder fand eine echte Debatte statt, noch gibt es inzwischen Aufklärung darüber, wer hier eigentlich wen in welchem Auftrag und mit wessen Zusammenarbeit ausspioniert.

Schließlich wurde das Thema kurzzeitig vom hier bereits diskutierten Veggie-Day überlagert. Aber selbst mir, dem das Thema Fleischkonsum durchaus am Herzen liegt, sehe doch, dass Themen wie Pflegereform, Rentenkasse, Europa-Politik, Bildungspolitik, Mindestlohn, etc. durch solch einen künstlichen Aufschrei über eine Idee von Renate Künast nicht untergehen dürfen – nicht einmal ansatzweise. Doch damit diese Themen nicht untergehen, müsste eine Debatte um die zukünftige EU-Politik erst einmal entstehen. Hier enttäuschen aber auch die Medien: EU-Politik ist zu wenig greifbar, zu wenig erklärend. Die EU-Politik wird maßgeblich von der deutschen Regierung mitbestimmt, die einfache Ja-Nein-Frage zum Thema Griechenlandrettung wird diesem Komplex nicht im Geringsten gerecht.

Hässlich macht der Wahlkampf auch die Innenstadt: Alle 10 Meter eine Laterne mit jeweils 4 Plakaten pro Straßenseite. Das sind 80 Plakate auf hundert Metern. Das ist Wahlkampf mit der Brechstange.

Hässlich macht der Wahlkampf auch die Innenstadt: Alle 10 Meter eine Laterne mit jeweils 4 Plakaten und das auf beiden Straßenseiten. Das sind 80 Plakate auf hundert Metern – so funktioniert Wahlkampf mit der Brechstange.

Beim Kampf ums Kanzleramt trägt man lieber Tiefschutz

Die wenigen strittigen Wahlkampfthemen wurden zusätzlich durch weitere Scheindebatten und Angriffe unter der Gürtellinie überlagert. Anfang August führte Steinbrück Merkels mangelnde Europa-Begeisterung auf ihre ostdeutsche Sozialisation zurück. Ein trauriger Schlag unter die Gürtellinie. Doch die meiste Zeit über tat mir Steinbrück fast schon leid. Die Geschichte um die Putzfrau des Kanzlerkandidaten ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen. Man erinnere sich an die CDU-Spendenaffäre Ende der 90er. Angela Merkel war damals noch CDU-Generalsekretärin. Selbst die Tatsache, dass das Thema Steuerhinterziehung für Steinbrück ganz oben auf der Liste steht, kann nicht verschleiern, dass die Anstellung einer schwarz bezahlten Putzfrau ein Witz gegen andere Vergehen von Trägern höchster politischer Ämter der bisherigen Geschichte ist. Ich dachte nur: „Na wenn man so tief graben muss, um Steinbrück etwas vorwerfen zu können, dann scheint der Typ ganz in Ordnung zu sein.“ Und dann war da ja noch Steinbrücks Mittelfinger-Geste auf dem Cover des SZ-Magazins. „Kann so jemand würdiger Träger des Kanzeramtes sein?“ Die Diskussion ist vielleicht berechtigt, aber nur unter Miteinbeziehung folgender Fakten: Die Geste war eine Antwort auf die Frage „Pannen Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“, es war ein Interview mit Fragen, auf die er nur mit einer spontanen, ausdrucksstarken Geste antworten sollte. Diese Fakten fallen bei der Diskussion meistens unter den Tisch.

Richtig knifflig wird es dann aber bei der Debatte um die Phädophilie-Passage im Kommunawahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (Agil) in Göttingen 1981. Jürgen Trittin war damals „verantwortlich im Sinne des Presserechts“ für die Forderung nach einer

„strafrechtlichen Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die zustande kommen, ohne dass Gewalt angedroht oder angewendet wird.“

Der Aufschrei ist groß, über Trittins Rücktritt wird schon spekuliert, der Fall erscheint so wunderbar klar. Ist er aber nicht: Wer tiefer blickt, erkennt schnell die Komplexität des Themas Pädophilie am Ende der 70er und Anfang der 80er, auch die FDP war darin verwickelt. Aus heutiger Sicht fällt das Urteil über Pädophilie kinderleicht, – und das ist auch gut so. Aber damals war das Teil des Zeitgeistes. Bis in die Mitte hinein war der Gedanke an sexuellen Handlungen mit Kindern nicht unabwegig. Es war ein extremer Gegenentwurf zum aggressiven und autoritären Verhalten gegenüber Kindern, dennoch menschlich und moralisch inakzeptabel. Ich möchte hier nichts relativeren, sondern nur sagen, dass es zu einfach ist, Trittin (damals noch Student) hier die alleinige Schuld oder Verantwortung für dieses Wahlprogramm zuzuweisen – zumal eine presserechtliche Verantwortung in der Praxis nur herzlich wenig mit der eigenen Meinung zu tun hat. Das Thema ist ernst. Aufklärung ist überfällig, Trittin aber nur ein Sündenbock.

Diesem Wahlkampf fehlt es insgesamt an Sachlichkeit und thematischer Tiefe in jeder Hinsicht. Vielleicht sind wir den USA doch nicht so unähnlich – ich sollte meine Arroganz bei den nächsten Wahlveranstaltungen dort drüben auf jeden Fall überdenken und etwas genauer hinschauen.