Out of Order - Kolumne

Deutschlands linkes Unbehagen: Wo kommt’s her?

Ende Februar ging eine Studie durch die Medien, die der deutschen Bevölkerung einen Linksruck nachsagte. Im Rahmen der Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap im Auftrag des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, wurde festgestellt, dass ein Großteil der Deutschen linksextremen Einstellungsmustern zustimmt. Die Aussagekraft der Studie und die Interpretation der Ergebnisse lässt sich allerdings durchaus anzweifeln. Beispiel: „Unsere Demokratie ist keine echte Demokratie, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen haben.“ Zustimmen oder nicht zustimmen? Das Problem: Vielleicht empfindet jemand unsere Demokratie als nicht echt, sieht die Gründe dafür aber nicht in der Herrschaft der Wirtschaft. Mir soll es heute aber gar nicht um die Kritik an der Studie gehen, sondern um die Suche nach den Gründen für das Unbehagen und die Zweifel am Rechtsstaat, die die Studie letztlich doch ganz klar nachweist. Ich fühle mich persönlich dazu in der Lage, weil ich mit 68% Zustimmung auch zu den „Linksradikalen“ gehöre. Yeah. Zur Diskussion stelle ich einzelne Ergebnisse, die ich dieser Langfassung entnehme.

Kapitalismus und Ausbeutung

„Ein Drittel der Befragten geht davon aus, der Kapitalismus führe zwangsläufig zu Armut und Hunger.“

Die Milliardengewinne global agierender Unternehmen von Apple bis Amazon basieren auf menschlicher Ausbeutung. Kinder nähen Klamotten zum Hungerlohn, andere schuften sich in Edelmetallminen in Afrika zu Tode und zum Weihnachtsgeschäft werden Spanier zum Arbeiten nach Deutschland gekarrt und bekommen bei der Ankunft und vor Schichtbeginn im Amazon-Warenlager neue Arbeitsverträge mit schlechteren Konditionen vorgelegt: Friss oder stirb. Der Erfahrung nach bedeutet Kapitalismus also Ausbeutung, das Level der Ausbeutung, der Armut, des Hungers, richtet sich schlicht und ergreifend nach den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im jeweiligen Land.

Was mich an der These, der es zuzustimmen oder die es abzulehnen gilt, allerdings stört, ist das Wort „zwangsläufig.“ Nein zwangsläufig müsste das nicht so sein: Einzelpersonen müssten schließlich auch nicht hunderte Millionen von Euros und Dollar auf dem Konto haben. Die Idee der freien Marktwirtschaft, hätte die Chance, jeden am Wertschöpfungsprozess Beteiligten am steigenden Wohlstand teilhaben zu lassen. Tut sie faktisch aber nicht. Weil wenige zu viel für sich beanspruchen. Die Gier ist das Problem, was mich gleich zu nächsten Punkt bringt.

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Seit wann braucht die Demokratie Grundrechte?

„Eine relevante Minderheit von 42 %, im Osten sogar eine absolute Mehrheit von 54 %, äußert sich mehr oder weniger unzufrieden mit der in Deutschland praktizierten Demokratie.“

Nur 42 Prozent? Hier hat mich ja eher überrascht, dass die Zahl so klein ist. Die Gründe für den Zweifel an unserer Demokratie liegen auf der Hand und sind gerade in der jüngeren Vergangenheit offensichtlich, Stichwort: NSA-Affäre. Unsere Grundrechte wurden, das wissen wir dank Snowden, in den letzten 15 Jahren mit Füßen getreten. Die Betonung liegt auf dem Wort „Grundrechte,“ zu deren Einhaltung und deren Schutz sich jede Bundesregierung mit dem Amtseid verpflichtet. Na gut, Fehler passieren, was die NSA macht, war ja auch der abgehörten Bundeskanzlerin nicht so richtig klar – dem BND hingegen wahrscheinlich schon. Jetzt heißt es Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss. Und wieder: Akten werden unterschlagen oder manipuliert. Der Bürger wird von der eigenen Regierung gnadenlos verarscht. Entschuldigung für meine Wortwahl, aber es geht nicht anders. Im Gegenteil: Es geht noch weiter.

Willkommen in Lobbyhausen

„Eine breite absolute Mehrheit hält die praktizierte Demokratie nicht für eine echte Demokratie, weil der Einfluss der Wirtschaft zu groß sei, eine Minderheit von knapp 30 % glaubt sogar, eine wirkliche Demokratie sei nur ohne Kapitalismus möglich.“

Datenschutz wird gepredigt: Von Merkel, von de Maizière, im Koalitionsvertrag. Jeder Bürger hat Interesse am verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgang mit seinen Daten. Wie bereits erwähnt: Es handelt sich sogar um ein Grundrecht namens „informationelle Selbstbestimmung“. Konzerne haben kein Interesse daran. Und tatsächlich ist es gerade Deutschland, dass jegliches Datenschutzbestreben verhindert – ganz im Sinne von Konzernen. Dazu empfehle ich die Lektüre des Artikels „Datenschlussverkauf in Brüssel“ vom Journalisten Richard Gutjahr. Man müsste hier aber auch gar nicht erneut das leidige Thema Datenschutz bedienen. Bei TTIP und seinen Geheimverhandlungen sieht es ja nicht anders aus:

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Dinge wie TTIP und die geplante EU-Datenschutzreform, die das Niveau des Datenschutzes in Teilen unter das von 1995 zurückfallen lässt, bringen vor allem den großen Konzernen etwas. Damit erfüllen diese Reformen nicht ihren eigentlichen Sinn: Die Verbesserung der Lebensbedingungen auf möglichst breiter Basis. Zudem wird der Reichtum einiger weniger durch unser geltendes, veraltetes Recht in Sachen Erbschaft weiter zementiert – siehe hier. Insofern verwundert auch dieses Ergebnis nicht:

„Knapp ein Fünftel in Westdeutschland und knapp ein Viertel in Ostdeutschland plädieren für eine Revolution zur Verbesserung der Lebensbedingungen, weil Reformen das nicht könnten.“

Zumindest zeigt die Studie, dass den Menschen hierzulande durchaus auffällt, dass gewaltig etwas schief läuft. Dass das Durchkauen der immer gleichen Themen (TTIP, NSA, Datenschutz, Arbeitsverhältnisse) von uns Journalisten doch irgendwo ankommt, wenn auch nicht gleich Aktionismus hervorruft. Und wenn es politisch so weiter geht, wie in den letzten 15 Jahren, dann wird die gleiche Studie in fünf Jahren noch mehr „Linksradikale“ zutage fördern – dessen bin ich mir sicher. Übrigens: Dass Journalisten, mich eingeschlossen, immer mehr selbst zu „Campaignern“ werden, hat wenig mit fehlender Objektivität zu tun. Wenn die Bevölkerung von der Politik an der Nase herumgeführt wird, ist Positionierung Pflicht. Wenn Inhalte von Verträgen wie TTIP, die sich auf das Leben eines jeden Bürgers in der EU auswirken, in geheimen Verhandlungen ausgemacht werden, ist Positionierung dagegen Pflicht – unabhängig von den eigentlichen Inhalten.

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