Thomas Saller Header

Führen live – Autor Thomas Saller im Interview (Teil 2)

In diesem Beitrag
Table of Content

Die Führungskräftetrainer Thomas Saller, Johannes Sattler und Ben MacKenzie haben das Buch Führen live geschrieben und dabei versucht, vieles anders und besser zu machen, als andere Ratgeber zum Thema Leadership. SpannKraft-Redakteur Benedikt Bentler hat sich mit Autor Thomas Saller unterhalten. Im ersten Teil des Interviews ging es um den grundsätzlichen Aufbau und die Herangehensweise an das Buch. Im Gespräch sind die beiden aber noch tiefer ins Thema eingestiegen, haben direkt über aktuelle Führungsthemen gesprochen und auch die Beispiele aus dem Buch aufgegriffen. Im Folgenden lesen die den zweiten Teil des Interviews.

 

Benedikt Bentler: Durch die Case Studies mit denen in Führung live gearbeitet wird, haben Sie ja einen guten Überblick über aktuelle Führungsprobleme bekommen. Lassen sich da Gemeinsamkeiten ausmachen? Was sind die häufigsten Probleme?

Thomas Saller: Eine Sache die auffällt: Häufig bekommen Führungskräfte den Beginn nicht hin. Das heißt, sie sind schlecht vorbereitet, verstehen das Umfeld und die ungeschriebenen Gesetze nicht richtig. Oft mangelt es auch an der Formulierung klarer Erwartungen und an der Abfrage der Erwartungen der Mitarbeiter. Es wird sich nicht klar genug positioniert. Und ein wichtiger Aspekt ist immer noch das rechtzeitige Adressieren unbequemer Wahrheiten. Dabei geht es auch darum, sich von Leuten zu trennen. Und der letzte Aspekt: Das Fällen von Entscheidungen nach systematischen Kriterien, sprich die Kombination von Analyse und Bauchgefühl.

 

„Führung live“ nennt sich das Buch von Thomas Saller, Johannes Sattler und Ben MacKenzie, das im Haufe-Lexware-Verlag erschienen ist.


Geschieht das eher tendenziell nach Bauchgefühl?

Es gibt beides. Manche entscheiden völlig nach Bauchgefühl, andere verfallen einem Analysewahnsinn. Es gibt zum Beispiel eine Geschichte, bei der es um einen Mitarbeiter geht, der jede Menge Mist macht. Die Führungskraft überlegt: Soll ich ihn weiter halten und entwickeln oder soll ich ihn wieder in die Position zurückstufen, in der er vorher war? Diese Führungskraft hat über ein Jahr hinweg Analyse betrieben, während der betreffende Mitarbeiter in der Zwischenzeit ganz viel Schaden angerichtet hat. Da wäre ein bisschen mehr Bauchgefühl sicher nicht schlecht gewesen.

 

Ich bin ja Teil der Generation Praktikum und habe schon ein paar Unternehmen von innen gesehen. Als Außenstehender erkennt man ja immer sehr schnell, was schief läuft. Viel schneller oft, als die Mitarbeiter, die schon längst betriebsblind sind. Dabei habe ich gemerkt, dass Angst oft ein entscheidendes Kriterium ist. Angst vor Veränderung, Angst vor Statusverlust, Angst vor Untergrabung der Autorität. Und dass ganz viele Probleme damit zu tun haben, obwohl es nie so benannt wird.

Ich weiß nicht ob Angst der richtige Begriff ist. Aber Sorge vor Blamage, Gesichtsverlust und Zurückweisung ist sicher entscheidend. Vielleicht kann man es wirklich Angst nennen. Ich habe da gerade auch ein Buch zum Thema Neuro-Leadership gelesen, in dem es genau darum geht. Gehirnregionen im limbischen System und Prefrontalkortex reagieren ganz stark darauf auf soziale Unsicherheiten. Wenn Sie mal Lust haben, googeln Sie das SCARF-Modell. Wenn man jeden Tag Angst vor Veränderung hat, funktionieren Menschen nicht mehr richtig.

 

Nun sind die typischen Medienthemen, zum Beispiel Gender und Digitalisierung, kein Schwerpunkt Ihres Buches. Liegt das daran, dass diese Pobleme immer noch mehr im Untergrund liegen? Vorhanden, aber nicht präsent?

Ja schon. Auf der anderen Seite könnte man sagen: Trotz aller Globalisierung, Digitalisierung und höherer Geschwindigkeit, liegen die meisten Themen und Probleme der Führungskräfte – insbesondere im mittleren Management – immer noch woanders, bei trivialen Dingen. Wie bekomme ich mein Team motiviert? Wie gehe ich mit Niedrigleistung um? Was mache ich, wenn jemand den Teamfrieden stört? Das waren vor 30 Jahren schon entscheidende Probleme und so wie es aussieht, wird sich das vorerst nicht ändern.

 

Das ist aber auch interessant, denn dann weiß man ja theoretisch auch, wie die sich lösen lassen. Die Schwierigkeit liegt vielleicht in der Gesamtheit der Probleme, mit denen eine Führungskraft konfrontiert ist.

Wenn ich mich mit Geschäftsführern von großen Unternehmen unterhalte oder Coachings mache, dann sind das oft Leute, die ein Unternehmen mit tausend Mitarbeitern führen. Diese Leute sind tatsächlich globalen Herausforderungen ausgesetzt. Was denen aber zu schaffen macht und schlaflose Nächte bereitet, sind Dinge wie: „Mein Marketing-Direktor mag mich nicht und akzeptiert meine Anweisungen nicht.“ Oder man schafft es nicht, den Konflikt zwischen Technik und Vertrieb aufzulösen. Es geht immer wieder um Menschen und deren Interaktion.

 

Vor ein paar Monaten habe ich mit jemandem gesprochen, der ebenfalls Arbeits- und Organisationspsychologe ist. Der arbeitet hier in Berlin an einem Institut, an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Er sagte, im Prinzip sei man wissenschaftlich schon viel weiter, als in der Praxis, als im Unternehmensalltag. Eigentlich wisse man, wie gute Führung funktioniert.

Ich bin da immer hin- und hergerissen. In der Wissenschaft weiß man wie es geht, aber wenn man auf dem Schlachtfeld ist, sieht das anders aus. So eine Führungskraft bekommt am Tag schon mal 250 E-Mails und hat acht Meetings. Da ist es einfach schwierig, in jeder Sekunde daran zu denken, was man zu machen hat. Was die strukturelle Ebene betrifft, glaube ich schon, dass es da bessere Modelle gibt, als die, die meisten Unternehmen fahren. Aber da bin ich kein Experte. Was ich immer noch spannend finde: Dass es in so vielen Unternehmen so viele Menschen gibt, die sich innerlich verabschiedet haben. Da hilft glaube ich kein wissenschaftliches Modell. Wenn du mit einem Mitarbeiter zu tun hast, der über zehn oder 15 Jahre hinweg Kränkungen erfahren hat und der einem ins Gesicht sagt: „Ich mache hier nur noch Dienst nach Vorschrift. Noch zehn Jahre bis zur Rente, ich habe einen guten Betriebsrat und einen sehr guten Anwalt. Sie kriegen mich hier nicht raus.“ Da wird Führung extrem schwierig.

 

Kann man bezüglich Führung einen Generationenunterschied ausmachen? Viele klassische, mittelständische Unternehmen sind ja in der Wirtschaftswunderzeit entstanden, die Geschäftsführungen sind dabei, sich zur Ruhe zu setzen, oder haben es in den letzen paar Jahren getan. Das heißt, es gibt einen relativ breiten Generationenwechsel.

Bezüglich des Aspektes, ob es grundsätzliche Generationsunterschiede gibt: Ich habe tatsächlich dreißigjährige Führungskräfte erlebt, die vorher auch bei Start-ups waren und knallhart sind. Die ganz nach dem Motto „Command & Control“ handeln. Genauso habe ich fünfzigjährige Führungskräfte erlebt, die total menschlich agieren. Da lassen sich in der Breite keine Unterschiede feststellen. Was die Erwartungen an „geführt werden“ angeht, sieht es anders aus: Die jüngere Generation hat da schon andere Erwartungen, das bekomme ich ja an den Universitäten mit. Wenn ich die Leute Aufsätze drüber schreiben lasse, wie sie geführt werden wollen, dann geht es schon mehr um Themen wie Inspiration, persönliche Beziehungen, vollen Einsatz im Gegenzug für Freiheit und Verantwortung. Es geht auch um unmittelbares Feedback. Bei den Leuten ab vierzig lief das noch eher nach dem Motto des braven Organisationsbürgers: Ich mache hier meine Arbeit, einmal im halben Jahr bekomme ich Feedback, jeden Monat mein Gehalt und irgendwann werde ich Projektleiter. Das hat sich geändert.

Was den Generationswechsel im Mittelstand angeht: Ja, den erlebe ich schon bei einigen Unternehmen. Da hat man noch die charismatischen, inhabergeführten Unternehmen, bei denen es darum geht, das jetzt an Töchter und Söhne abzugeben. Und damit geht ein Kulturwandel einher. Das ist ein superspannendes Thema. Ich habe leider nicht so viele Evidenzen, aber ich kenne drei Unternehmen, bei denen das so ist. Bei einem Unternehmen hat die Tochter jetzt angefangen, Firmenwerte und Firmenprinzipien einzuführen und Themen wie Corporate Responsibility anzugehen. Da war der Vater nicht nur erfreut, sondern hielt das auch ein bisschen für Schnickschnack. So etwas gibt es schon. Aber das ist jetzt im Speziellen nicht meine Expertise.