Sei mal authentischer – Mythos, Probleme und Herausforderungen mit authentischem Handeln

„Sie wirken in Ihrem Tun und Handeln nicht wirklich überzeugend. Seien Sie doch daher einfach mal authentischer!“ Diese oder ähnliche Bewertungen und Aufforderungen hört man heutzutage in sehr vielen Trainings, Führungsanalysen und/oder Coachings. Als ob dies quasi die Rund-Um-Sorglos-Formel wäre. Denn leider erweist sich die zu einfache Auslegung dieser Formel oftmals als Bumerang – und dies für das Umfeld gleichermaßen wie für die eigene Karriere und die persönliche Entwicklung. Warum ist das eigentlich so – oder ist Authentizität gar nur ein Mythos?

Das Problem mit authentischem Handeln

Fast alle haben es in ihrem Leben schon mehrfach erlebt: in einer neuen Situation werden Dinge erwartet, die man zunächst (noch gar) nicht leisten kann. Dies kann beim Erlernen einer technisch anspruchsvollen Sportart wie Diskuswerfen oder Stabhochsprung der Fall sein, aber auch genauso gut in der Tanzschule, oder beim Erlernen einer neuen Sprache. Denn wenn wir uns anders verhalten müssen oder sollen, als es unserem Wesen entspricht, bekommen wir doch rasch das Gefühl, „unecht“ zu sein. Das Ganze wirkt zunächst oftmals sehr unbeholfen – vor allem für einen selber.

Authentisch zu sein, bedeutet für die meisten Menschen „echt zu sein“; d.h. sich nicht von äußeren Einflüssen beirren zu lassen, und konsequent seine Ziele und die damit verbundenen Wege zu verfolgen. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Authentizitätsbegriff möchte ich an dieser Stelle vermeiden; verweise dazu aber auf einen entsprechenden Artikel von Herminia Ibarra in der Harvard Business Manger Ausgabe 04/ 2015. Wer hierauf keinen Zugriff hat, dem empfehle ich das folgende Video mit der Autorin:

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Weitere Informationen

 

Aber wie kann Authentizität gelingen, wenn Schwierigkeiten mit den bisherigen Werten und Verhaltensmustern nicht mehr überwunden werden können, oder wenn neue Herausforderungen anstehen, denen man sich bisher noch nicht gegenüber sah? Zumeist geht es doch darum, sich diesen neuen Herausforderungen bewusst zu stellen und dafür auch die eigene Komfortzone zu verlassen. Das ist jedoch für Außenstehende oftmals einfacher gesagt, als es sich für die Betroffenen darstellt. Denn die spezifischen Rahmenbedingungen lassen es nicht immer zu, sich mit unterschiedlichen Stilen auseinanderzusetzen und einfach einmal damit zu experimentieren.

Demgegenüber nutzen Führungskräfte und/oder deren Berater, Trainer, Coaches etc. die Forderung nach authentischem Handeln oft als Vorwand, um bequeme, vertraute Verhaltensweisen gar nicht erst ablegen zu müssen. Im beruflichen Kontext gibt es aber nur sehr wenige Positionen, in denen man mit dieser Strategie auf Dauer erfolgreich ist. Und je höher die Karriereleiter erklommen wird, desto rarer werden diese Positionen.

Die Herausforderung authentischen Handelns

Ich habe oft genug erlebt, dass experimentierfreudige und spontane Menschen von ihrer Umwelt als unecht oder wankelmütig bezeichnet werden. Das ist nicht ganz unberechtigt, vor allem dann nicht, wenn es darum geht, neues Verhalten zu erlernen oder neue Rollen zu übernehmen, für die sich diese Menschen noch nicht reif genug fühlen. Doch ist es nicht gerade das Ausprobieren oder die Anpassung des eigenen Verhaltens, dass diese Menschen für ihre neuen Aufgaben stählt und robust macht? Wer sich in einer solchen Phase befindet, sollte doch vielmehr in seinem Verhalten gestärkt werden, denn er hat den wichtigsten Schritt schon gemacht: Er hat seine eigene Komfortzone bereits verlassen. Und damit die wesentliche Voraussetzung für sein künftiges Handeln quasi selbst erzeugt. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Erzeugung bzw. Generierung der dafür notwendigen intrinsischen Motivation.

Doch gerade in echten Change-Situationen kann sich ein zu rigides Selbstbild rasch als Stolperfalle herausstellen. Dies gilt besonders für erfahrene Führungskräfte. Denn einerseits wollen auch sie wieder mit anderen Verhaltensweisen experimentieren, anderseits erwartet die Mannschaft hier kein gemeinsames Training, sondern Führung. Die entscheidenden Frage ist daher: Wie viel authentisches Handeln ist wirklich notwendig und wie bekommt man die richtige Mischung aus Distanz und Nähe bzw. zwischen Autorität und Zugänglichkeit hin?

Denn um Autorität ausstrahlen zu können, muss man sein eigenes Wissen, seine eigenen Fähigkeiten, seine eigene Erfahrung – oder zusammengefasst seine eigene Kompetenz – höher einstufen, als die seiner Mannschaft. dadurch wird automatisch Distanz aufgebaut – ob man will oder nicht. Um dem entgegenzuwirken, und somit als zugänglich empfunden zu werden, muss man hingegen die Beziehungsebene mit den Kollegen in den Vordergrund stellen. Das geschieht, indem deren Input und Sichtweisen wertgeschätzt werden und sie einfühlsam geführt werden. Insbesondere für Menschen, die ihr eigenes Verhalten nur ungern ändern, ist diese Gratwanderung in diesem Spannungsfeld kaum leistbar, da sie i.d.R. die eine oder die andere Verhaltensweise bevorzugen.

Neue Führungsrollen mit authentischem Handeln ausfüllen

Unterschiedliche Erfolgsstrategien

Chamäleonhafte Anpassung führt zu authentischem Handeln

Chamäleonhafte Anpassung für authentisches Verhalten; © Indina Bench

Chamäleon – Beispiel für angepasstes, authentisches Verhalten; © Indina Bench

Menschen mit einer feinen Sensorik für sich selbst und ihre Umwelt können sich sehr schnell an neue Erfordernisse anpassen. Das Gefühl,  „unecht“ in ihrem Verhalten zu sein, kennen sie nicht oder nehmen es einfach gar nicht wahr. Die Persönlichkeiten betreiben vielmehr einen großen Aufwand, ihr Image zu pflegen, und ihren eigenen verletzbaren Kern hinter Gesten und Geschichten zu verbergen.

Natürlich gelingt es auch diesen Menschen nicht immer auf Anhieb, sich auf neue Rahmenbedingungen gut einzustellen. Aber das hält sie nicht davon ab, es immer wieder aufs Neue zu versuchen. Sie machen so lange weiter, bis sie den passenden Stil gefunden haben. Diese flexible Anpassungsfähigkeit hilft diesen Menschen zwar rasch Karriere zu machen, aber oftmals zu dem Preis, dass sie von anderen als unaufrichtig eingeschätzt werden, als Personen, denen ein moralischer oder werteorientierter Kompass fehlt.

 

Hardliner beharren auf ihr authentisches Handeln

Magaret Thatcher - eine Hardlinerin und ein Paradebeispiel für authentische, unangepasste Führung

Magaret Thatcher – eine Hardlinerin und ein Paradebeispiel für authentische, unangepasste Führung; © GirlTalkHQ

Menschen, die lieber an ihren bisherigen Prinzipien festhalten bzw. ihrer eigenen Linie treu bleiben und daher ihr eigenes Verhalten weniger stark kontrollieren, neigen dazu, immer das zu sagen, was sie wirklich denken und empfinden – und zwar selbst dann, wenn es den Erfordernissen der Situation zuwiderläuft. Genau dadurch geraten diese Menschen aber in Gefahr, zu lange an vertrauten Verhaltensweisen festzuhalten. Sie fühlen sich dabei zwar sehr wohl in ihrer Haut, laufen allerdings Gefahr, sich in ihrer persönlichen Weiterentwicklung zu hemmen.

Magaret Thatcher, die „eiserne Lady“ und ehemalige Premierministerin von Großbritannien ist ein Paradebeispiel hierfür. Alle, die mit ihr zusammengearbeitet hatten, wussten, wie gnadenlos sie sein konnte, wenn jemand sich nicht so gründlich auf eine Besprechung vorbereitet hatte wie sie selbst. Sie demütigte Mitarbeiter in aller Öffentlichkeit, war als schlechte Zuhörerin bekannt und hielt Kompromissbereitschaft für Feigheit. Ihren Spitznamen empfand sie übrigens als Kompliment. Einerseits konnte sie andere Menschen mit der bloßen Macht ihrer Rhetorik und Überzeugung in die Knie zwingen, anderseits war dies gleichzeitig ihr Untergang: Sie wurde von ihren eigenen Leuten abgesägt.

Unterschiedliche Persönlichkeiten agieren auch unterschiedlich

Die Darstellung der beiden extremen Positionen verdeutlicht hoffentlich, dass es für die Menschen nicht einfach ist, mal eben authentischer zu sein. Also liebe Berater, Trainer, Coaches etc.: bitte berücksichtigt diese Dinge künftig, bevor ihr die „Goldformel“ zur authentischen Verhaltensanpassung wieder herausholt. Was für den einen eine leichte Verhaltensänderung ist, ist für den anderen ggf. eine Qual.

Offenheit für Neuerungen

Persönlichkeiten lassen sich nicht mal eben hinsichtlich ihres authentischen Verhaltens anpassen. Bei dem einen dauert es länger als bei dem anderen. Nichtsdestotrotz sollte jeder – und vor allem jede Führungskraft auch im Sinne der eigenen Organisation – nach Weiterentwicklung streben. Und hierzu sollten neben den Leistungszielen vor allem auch Lernziele gehören. Ansonsten läuft man einfach Gefahr, sich wie ein Hochstapler zu fühlen, wenn mal etwas nicht klappt. Prominente Beispiele finden sich mitunter auch in der Politik. Der ehemalige Verteidigungsminister zu Gutenberg ist hierfür sicherlich ein Paradebeispiel.

Darüber hinaus hat der Lernprozess den Vorteil, dass man sich nicht permanent unter Druck setzt, denn es geht ja um das Erlernen und nicht um eine „Könnung“. Dadurch werden zumeist auch unwillkürlich Risiken vermieden. Denn die Sorgen vor dem eigenen Reputationsverlust sind doch echte Demotivatoren, die uns davon abhalten, uns auf neue und unbekannte Aufgaben einzulassen. Das Verfolgen von Lernzielen spornt uns hingegen an, unsere Eigenschaften kontinuierlich weiterzuentwickeln. Demgegenüber wird eine nahezu ausschließlich leistungsorientierte Führungskraft ihr Ziel vor allem darin sehen, sich selbst im bestmöglichen Licht darzustellen.

Der Schlüssel ist die flexible Nutzung unterschiedlicher und vor allem zahlreicher Vorbilder. Die Vielfalt bei den Vorbildern ermöglicht es letztlich erst, sein eigenes Verhalten nicht einfach nur zu kopieren sondern wirkungsvoll an die Notwendigkeiten anzupassen. Dadurch erfolgt dann auch die Adaption von authentischem Handeln.